Dauerhafte Ehe

Wesentliche Eigenschaften langlebiger Paarbeziehungen: Wille

Wenn ich Babies und Kleinkinder beobachte, fasziniert mich der unbedingte Wille, mit dem sie etwas tun. Ein Säugling, der Hunger hat, schreit. Ein Säugling, der nasse Windeln hat,...

Wenn ich Babies und Kleinkinder beobachte, fasziniert mich der unbedingte Wille, mit dem sie etwas tun. Ein Säugling, der Hunger hat, schreit. Ein Säugling, der nasse Windeln hat, schreit. Der Schrei vermittelt den Eltern: „Ich will das nicht, macht das weg.“ Das Baby kann nicht benennen, was es stört, aber es macht mit unbedingter Dringlichkeit klar, dass jemand etwas tun muss.

Nach wenigen Monaten kann das Kind sitzen und wenn es auf dem Bauch liegt, schiebt es den Hintern hoch und robbt, schaukelt auf Händen und Knien, versucht sich bald irgendwo hochzuziehen. Es will stehen können. Es will laufen können. Es lässt sich nicht aufhalten von Misserfolgen. Ständiges Umfallen löst nicht gerade Freude aus, aber der Wille diese Fähigkeit zu erlernen, ist ungebremst, er ist stärker als die Schwerkraft und stärker als die Frustration.

Nicht anders funktioniert der Spracherwerb. Unsere Kinder brabbeln etwas nach, was sie im Ohr haben und spätestens wenn wir Mama und Papa aus dem Gebrabbel herausgefiltert haben, weiss es, dass es sich lohnt, dieses Versuch-und-Irrtum-Prinzip weiter anzuwenden. Als Dreijährige können wir perfekt laufen, als Fünfjährige beherrschen wir die Grammatik unserer Muttersprache ohne jemals ein Buch dazu gelesen zu haben.

Nie wieder im Leben werden wir mit solcher Ausdauer unsere eigenen Projekte verfolgen.

Der Wille, der in Kleinkindern als angeborenes Prinzip erscheint, verblasst im Laufe von Erziehung durch soziale Kontexte. Ich will nicht falsch verstanden werden: Wir müssen genauso lernen, wie man den eigenen Willen zurücksteckt, um als Gemeinschaftswesen zumutbar zu sein. Es scheint jedoch, als sei in vielen Erwachsenen dieser Wille zum eigenen Wachstum mehr oder weniger eingeschlafen.

Das Kind fragt sich nicht, ob es heute laufen lernen möchte. Es überlegt nicht, welches Wort es als nächstes üben möchte. Es nimmt die Bedingungen seiner Umgebung als gegeben und übt in diesem Kontext sein innewohnendes Programm.

Wer von uns Erwachsenen kann sagen, dass er den Sinn seines Lebens (der sich im Laufe des Lebens beständig wandelt) mit solcher Hingabe verfolgt? Wir haben vergessen wie es sich anfühlt. Wir wissen nicht mehr, welch energetisierende, elektrisierende Wirkung es haben kann, wenn man sich hundertprozentig auf eine Sache einlässt. Stattdessen glauben wir, Multitasking sei eine Errungenschaft. Weit gefehlt: Multitasking ist die zum Kult erhobene Ablenkung.

Wenn ich gestressten Klienten vorschlage, sie sollten mal probieren, fünf Minuten einfach dazusitzen, ohne etwas zu tun, geraten sie dadurch in Stress. Stress durch Nichtstun? Unser Geist ist so befasst mit endlos vielen Aufgaben, Projekten, Zuständigkeiten. Er will nichts von Pause wissen. Aber wenn er nicht weiß, wie man Pause macht, dann weiß er auch nicht wie man sich fokussiert. Konzentrieren ja. Grübeln ja. Aber fokussieren? Mit voller Aufmerksamkeit und entspanntem Geist eine neue Fähigkeit erwerben? Im Flow liegt das Glück, so der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi, dessen Namen wahrscheinlich kaum jemand richtig aussprechen kann.

Können Sie sich vorstellen für Ihre Paarbeziehung wieder ein Flow-Gefühl zu entwickeln? Für eine zu entwickelnde kommunikative Fähigkeit genauso viel Leidenschaft aufzubringen, wie sie sie bei Kindern, die gerade Laufen lernen, beobachten können?

Unseren Willen können wir nur projektbezogen erleben. Wir brauchen eine Aufgabe dafür. Es muss einen Sinn ergeben, sich zu bemühen. Ohne ein Ziel vor Augen, bekommen wir den Hintern nicht hoch.

Ein Ziel alleine genügt aber auch nicht. Denn wie oft hat man sich schon vorgenommen abzunehmen, Sport zu treiben, eine Fremdsprache zu lernen, ein Instrument zu spielen, mehr Kontakte zu pflegen, früher aufzustehen, weniger Alkohol zu trinken, nicht mehr zu rauchen… Sie dürfen die Liste gern fortsetzen.

Zur Verfolgung wesentlicher Ziele ist eine Unbedingtheit erforderlich, die ich Wille nenne. Der liegt nicht einfach so herum, sondern man muss ihn (als erwachsener Mensch jedenfalls), selbst erzeugen.

Wo entsteht also der Wille? Was ist die Quelle, aus der er gespeist wird?

Wille braucht eine Richtung. Für Kleinkinder ist es natürlicherweise klar. Rundherum gehen die Menschen und sprechen miteinander. Auf ganz selbstverständliche Weise entsteht so die Bewegung in die Aufrechte und das Erlernen der Sprache. Das Kind will so werden wie die Großen, erst ein großes Kind, dann ein Erwachsener.

Später wird es komplizierter. Es ist nicht mehr so klar, wer eigentlich die Großen sind. Es gibt gesellschaftliche Klischees: Karriere, Einfluss, Besitz, Bekanntheit. Unsere Medien füttern diese Gedankenwelt mit einem unablässigen Strom. Der Nachteil von Massenmedien und permanenter Kommunikation ist aber, dass wir nicht zur Ruhe kommen, um unser eigenes Wollen, unsere eigenen Werte zu differenzieren. Auch deshalb ist es so schwierig, einmal fünf Minuten still zu sitzen.

Die in unserem Kopf stattfindende Diskussion, ob nun die gesellschaftlichen Normen oder das Eigene eine größere Rolle spielen soll, ist schwer auszuhalten. Wird sie nicht bewusst geführt, haben wir früher oder später mit Burnout und Sinnkrisen zu tun. Oder Enttäuschung und Desinteresse werden zu Hauptbestandteilen unseres Gefühlslebens.

Der gestaltende Mensch geht uns verloren.

Nur im Kontakt mit dem Wunsch nach Gestaltung der Welt kann der Wille sich zeigen. Welt bedeutet nicht zwangsläufig die große Bühne. Die Welt beginnt hier bei mir. Ich bin Bestandteil und Mittelpunkt. Wir können uns eher als eine Art Kulturzentrum sehen. Wie in Zeiten, als es noch keine Telekommunikation gab, die Hauptstädte des Kontinents strahlende Kulturzentren waren, jedes mit eigener Farbe und Temperament, während in der Weite des Landes zwischen den entfernten Hauptstädten allmählich Sprachen, Musik, Kleidung und Tänze ineinander übergingen, so können wir uns zu Hauptstädten unserer eigenen Welt machen und hier die uns eigene Kultur entwickeln. Wenn jemand kommt, die Konzerte zu hören, kann man sich freuen.

Wenn jemand meine Gedichte nicht lesen mag, so what? Es ist mein Ausdruck meiner Reise durch diese seltsame Welt.

Entscheidend ist, ob ich meine eigene Stimme hören kann. Diese kleine, feine, innere Stimme. Diesen stillen Begleiter, der mir sagt, wann der Mainstream nicht mehr mein Weg ist. Der mir Mut macht, von der Hauptstraße abzubiegen und einen zugewachsenen Feldweg zur neuen Hauptstraße zu erklären. Hänschen klein ging allein… und ist wohlgemut!

Eine Ehe benötigt diesen Willen:

„Das ist mein Weg. Ich weiß nicht, was kommt, aber ich will es wagen.

Dieses Experiment: Du und Ich, hat vor uns beiden noch niemand durchgeführt. Ich weiß nicht, wie es geht, aber ich will es lernen. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, aber ich will es probieren. Ich frage nach dem Weg, wenn ich mich verirre; ich helfe dir, wenn du den Weg nicht siehst; ich hole uns Hilfe, wenn wir feststecken.

Du hast mein Wort.

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