Vier Schritte zu mehr Muße

Man kann im Leben anderes tun, als ständig das Tempo zu erhöhen

Foto: glasseyes view Für die meisten Menschen in unserem Kulturkreis ist das Leben hektisch und mit Terminen zugepflastert. Es bietet kaum Freiräume, in denen unser Sein an Stelle...

Foto: glasseyes view

Für die meisten Menschen in unserem Kulturkreis ist das Leben hektisch und mit Terminen zugepflastert. Es bietet kaum Freiräume, in denen unser Sein an Stelle des Tuns im Vordergrund steht. Überraschend finde ich, dass diese Lebensweise nur wenig infrage gestellt wird, obwohl sie in ihrer unmenschlichen und radikalen Form erst wenige Jahrzehnte alt ist.

Früher war mehr Pause. Wenn ich Menschen darauf anspreche, erinnern sie sich auch noch daran, dass früher die Geschäfte nicht nur am Samstagnachmittag geschlossen waren sondern auch am Mittwochnachmittag. Ebenso die Arztpraxen. Väter waren spätestens um 18 Uhr zuhause, es gab jeden Tag ein gemeinsames Abendessen und natürlich gemeinsame, freie Wochenenden.

Wenn ich die Schilderungen meiner Klienten heute höre, wird das Elend offenbar: Wenn man schon nicht mal mehr Zeit hat zu sich selbst zu finden, wie soll man mit dem Partner zusammenkommen?

Beileibe kein Einzelfall:

Morgens um 6 aus dem Haus, der Flieger wartet. In irgendeiner Stadt in der Republik einen Tag im Büro des Kunden, abends ins Hotel, um dort am Laptop weiterzuarbeiten, gleich morgens wieder zum Kunden, abends in den letzten Flieger nachhause, endlich zuhause. Die Frau will reden – um Gottes willen.

Zuhause fährt die Partnerin derweil die Kinder: zum Kindergarten, zur Schule, zum Turnen, zum Tennis, zum Musikunterricht, zum Hockeyturnier, zum Kindergeburtstag, zum Lernen zu Schulkameraden. Zwischendrin der eigene Job, der Haushalt, Einkaufen, Essen machen. Hoffentlich ist bald Wochenende.

Am Wochenende will er endlich mal ausschlafen und dann nur noch die liegen gebliebenen Emails abarbeiten. Sie hätte so gerne mal, dass er auch mal mit den Kindern spricht, die ihr immer auf der Nase herumtanzen. Er winkt müde ab. Der Samstag ist futsch. Das Paar hat kaum miteinander gesprochen.

Sonntags: Verkaufsoffen im Baumarkt. „Wir könnten doch mal neue Tapeten aussuchen. Es gibt 10% Rabatt auf alle Einkäufe.“

Mit Schwung in die Falle gelaufen.

Slow down!{.align-center}

Foto: Kewl

Keine Zeit zur Muße

Wir leben in einer Zeit leben, in der wir die Fähigkeit zur Muße und zum Innehalten beinahe vollständig verloren haben. Während früher der Wochenrhythmus durch den Wechsel von Werktagen und Feiertagen stärker strukturierend wirkte und in den sechziger Jahren sogar ein freier Samstag für alle möglich wurde, müssen wir uns heute mit Händen und Füßen gegen den Tag- und Nachtkonsumzwang wehren.

Es ist bequem im Internet einzukaufen, jedoch absorbiert es noch mehr vom Feierabend als es das Fernsehen vorher schon tat. Es ist verführerisch das Einkaufen auf den Samstagabend oder Sonntagvormittag zu verlegen, weil damit die Hektik der Wochentage scheinbar entspannter wird.

Doch der Preis ist hoch. Wir sind immer schneller, als es eigentlich möglich ist. Wir machen nie mehr Pause. Wissen kaum noch wie das geht. Keine halbe Stunde ohne Smartphone, keine Zeit mehr, die wir miteinander in Ruhe verbringen und erst einmal zuhören, was der andere zu sagen hat. Nein, keine Zeit zum zuhören, weil ich ja selbst auch noch nicht gehört wurde.

Zeit zu zweit als Paar. Ich mache Paaren öfter mal den Vorschlag, eine feste Zeit miteinander zu vereinbaren, zu der sie sich einmal (!) pro Woche ungestört miteinander hinsetzen um bloß miteinander zu reden.

Damit beide sich hören und gehört werden.

Aber es scheitert oft schon an dieser ersten Terminvereinbarung. Da nutzt keine Paarberatung der Welt etwas, wenn ein Paar unfähig ist, sich als Paar gemeinsam gegen die Anforderungen des Alltags abzugrenzen! Nur was bleibt von einer Partnerschaft, wenn ihr der Austausch entzogen wird?

So wie es notwendig ist Pause zu machen, ist es auch notwendig die Dinge langsamer zu erledigen. „Wenn Du es eilig hast, gehe langsam“, lautet ein chinesisches Sprichwort aus vergangenen Zeiten.

Was hätten Sie davon, langsamer zu sein?

  1. Mehr Konzentration. Wer zu schnell ist, kann den Fokus nicht halten.
  2. Mehr Zufriedenheit. Man kann das, was man hat, nur richtig erkennen, wenn man es auch wahrnimmt und genießt.
  3. Freude. Je mehr Zufriedenheit, desto mehr Freude. Je langsamer, umso mehr Glück. Wir sind eine der unzufriedensten und unglücklichsten Nationen und gleichzeitig eine der reichsten. Warum?
  4. Gelassenheit. Eile produziert Unruhe, Unzufriedenheit, Angst und Stress. Wer immer mehr von sich verlangt, als er eigentlich leisten kann, wertet sich permanent ab und wird im Ergebnis ungerecht gegen andere.

Es ist Zeit Verantwortung zu übernehmen.

Sachzwänge sind megaout. „Alternativlosigkeit“ hat sich ebenfalls als geschickter Maulkorb gegen alles entlarvt. Wir haben die Freiheit des Individuums gegen alle religiösen Beengungen erkämpft (naja, unsere Ururururururgroßväter und die Generationen danach).

Aber: Das Individuum muss jetzt für sich selbst sorgen. Die Freiheit kostet ihren Preis. Und der Preis heißt Selbstverantwortung.

Hier sind ein paar Fragen als Anregungen dazu.

  1. Trauen Sie sich weniger zu tun? Sie könnten Projekte kürzen, Aufgaben von der Liste streichen. Weniger Aufgaben pro Tag erledigen. Qualität statt Quantität. Nur wesentliches auf die Agenda setzen und erst wenn dies getan ist, die Routinearbeiten erledigen.
  2. Wie erleben Sie Meetings? Sollten es weniger sein? Häufig zerstückeln Meetings den Tag und vernichten Zeit, indem man sich mit Themen befasst, die von anderen festgelegt werden. Machen Sie sich möglichst immer einen eigenen Plan für Inhalte und Ergebnisse, auch wenn Sie nicht die Leitung haben. So lässt sich die Sinnhaftigkeit Ihrer Meetings besser messen.

Auto offline{.float-right}

Foto: Timothy Takemoto

  1. Haben Sie Offline-Zeiten? Es gibt verschiedene Offline-Level. Man kann nur die Benachrichtigungen über neue SMS oder E-Mails abstellen. Man kann sich aus Twitter, Facebook, Xing und Myspace ausloggen. Erlauben Sie sich ab und zu völlig offline zu sein? Sogar mit ausgeschaltetem Handy? Was man da alles tun könnte: Ein Buch lesen, mit jemandem ungestört reden, einen Herbstspaziergang machen, und die Luft wahrnehmen, die man atmet...
  2. Könnten Sie einfach nur 5 Minuten dasitzen und gar nichts tun? Fünf Minuten kann jeder aus seinem Tagesablauf herauslösen. Trauen Sie sich dieses Experiment? Schauen Sie was geschieht, wenn Sie sich fünf Minuten lang mit Ihrem SEIN beschäftigen, als über das nächste TUN nachzudenken. Im Idealfall lassen sie das zur täglichen Übung werden. (Hinweis: Im Stau stehen zählt nicht als Ersatz!)
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